Topographie des Terrors
Berlin
Wettbewerb, 1983 & 2005
Wettbewerb 1983
Sprache und Architektur bleiben hier das einzig ehrliche: Das Wirtschaftswunder mit dem Verdrängungskanzler Ludwig Erhard als Galionsfigur folgte dem Grauen. Entsprechend wurden die Reste seines baulichen Angesichtes im Weststaat schnellstens plattgewaltzt. Auf der Ostseite des Geländes hingegen war der neue Staat eiskalt genug, um in manchen verbliebenen Faschisten-Gebäuden selbstredend Teile der Administration einzuquartieren.
So wie im ‚Hauptstadt Berlin‘-Wettbewerb von 1957 von der Zweiteilung der Stadt großzügig abgesehen wurde, hat sich bei der vorliegenden Ausschreibung die Mauer in faulem Opportunismus gegenüber den bestehenden Verhältnissen bis hinein in die Köpfe der Beteiligten verlängert. Aber sowenig die Geschichte Deutschlands teilbar ist, ist es dieses Grundstück. Und daher vermag die zur Zeit noch undurchführbare Idee eines Projektes beider deutscher Teilstücke an diesem Ort zunächst einzuleuchten.
Schnell allerdings tritt dann ein wichtigerer Gedanke hinzu: Um des Angedenkens der hier Ermordeten willen darf an diesem Ort überhaupt nie mehr eine Staatsmacht als Bauherr hantieren. Von alledem spricht das Gelände wie es ist. Daher der Vorschlag, im Hinblick auf eine wirklich demokratische Zukunft ohne Mauer in ganz Deutschland alles offenzulassen.
An dem gewählten Standpunkt jedoch, und nur hier, ist schon heute ein Gebäude vorstellbar, vielleicht sogar hilfreich. Ein Insel-Haus auf einem wegverdrängten Insel-Grundstück im Inselland Berlin, das sich in seiner Architektur gegen all jenes zunächst einmal nur und ganz stark sperrt. Als Baukörper ein Pendant zum übriggebliebenen Martin-Gropius-Bau, in der stadtbaulichen Disposition jedoch auf der Suche nach einer Ganzheit der Situation. Bauherr: Eine unabhängige internationale Organisation.
Auf dem Wunschzettel steht ein ganz und gar pluralistisches Gebäude mit weitgehend offenen Grundrissen und mannigfaltigen Sichtverbindungen. Es vollführt im Inneren eine Spiralenbewegung, die eine Wegeführung (über ein System von parallelen Treppen und Rolltreppen) entlang unterschiedlicher Veranstaltungen, Ausstellungen und Workshops weist. Räume, die – genau wie das ganze Gelände – auf friedfertige Aneignung warten…
Von diesem Haus aus könnten Prozesse in Gang geraten, die tatsächlich Beschäftigung mit vorzufindender Geschichte bedeuten, und somit dann über die Zeit auch langsam das Gelände veränderten. Solches heißt natürlich gerade dort gleichermaßen auch Einmischung in die gesellschaftlichen und politischen Umstände der Gegenwart auf beiden Seiten der Mauer, wo die Vorbereitungen für weiteren staatlich verordneten Massenmord eifrig voranschreiten, und den Bürgern bewußtermaßen das Gefühl vermitteln, in einer Vorkriegs-Zeit zu leben.
Wettbewerb 2005
In Zusammenarbeit mit Claudius Grothe
Städtebau & Konzept
In gebührendem Abstand und unter Bezugnahme auf die Höhengliederung des Martin- Gropius- Baus wird für das Besucher- und Dokumentationszentrum ein langgestreckter und schlanker Gebäuderiegel vorgeschlagen der förmlich über der Topographie zu schweben scheint . Beginnend in der Bauflucht des Gropius- Baus erstreckt er sich in seiner Längsrichtung in der Achse der Hofzufahrt der früheren Kunstgewerbeschule und des Gestapo- Hauptquartiers, wodurch eine ungewolltes weil unkontrolliertes Aufbrechen weiterer Bodenschichten während der Bauarbeiten weitgehend wird vermieden werden können . Denn obgleich sich das Terrain im Laufe der kommenden Jahre und mit seiner Benutzung als historische Dokumentations- und Forschungsstätte natürlich langsam weiterverändern soll und wird sind hierfür städtebauliche und gestalterische Bedingungen zu formulieren die ein Konzept zu erkennen geben und die diesen Ansatz solchermaßen tragfähig werden lassen.
Die Arbeit unterscheidet für diese neuen Nutzungen wünschenswerterweise zwei Teilbereiche auf dem Gelände . Diese sind zum einen ein mit unaufdringlichen gestalterischen Mitteln eingegrenzter und damit klar und deutlich dem Dokumentationsgebäude unmittelbar zugeordneter Bereich entlang der Niederkirchnerstraße und der Wilhelmstraße bis auf die Höhe der Kochstraße mit ihrer wichtigen Blickbeziehung auf das neue Gebäude und das Gelände . Und zum anderen dann der südliche Grundstücksteil, für den davon ausgegangen wird, daß es im Sinne einer eben auch alltäglichen Wiederaneignung dieses wohl schwierigsten Berliner Grundstücks durch die Bewohner der Stadt besser wäre jederzeitige unmittelbare Zugänglichkeit zu gewähren . Rentner mit Hunden, Joggen, Türkisches Picknick, spazierengehende Liebespaare im Robinenwäldchen und auf der Rückseite der Trümmerreste des Prinz- Albrecht- Palais: was könnte besser zeigen, daß das Leben immer weitergeht und man dennoch nichts zu vergessen braucht?
Architektur
Eine textile Gebäudehülle nimmt die Architektur des Dokumentationszentrums ganz stark zurück und erzeugt gleichzeitig mehrere denkbare Metaphern . Ihre Fernwirkung verstärkt sich dabei in dem gleichen Maße wie sich das äußerliche Erscheinungsbild des Hauses auf nur ganz Weniges reduziert . Die riesigen Fassadenbahnen sind mit konvers gestellten Fotographien aus der Baugeschichte des Ortes bedruckt und verwandeln das Gebäude in eine schwere und dabei doch völlig vom Boden losgelöste schwebende Stele . Seine äußere Erschließung erfolgt über eine schräg das Gelände überspannende fußläufige Rampe, von der aus man mit zunehmender Steigung das Grundstück zu überblicken beginnt ( Die aus der Gegenrichtung zulaufende Rampe „taucht“ im letzten Moment unter dem aufgeständerten Haus hindurch, auch sie schafft Ausblicke und bildet zugleich ein zurückhaltendes und in die Architektur integriertes Element der Geländeabgrenzung).
Dem Hochbau- Entwurf liegt ein Konstruktionsraster von 8 auf 8 m zugrunde innerhalb dessen, entweder als stützenfreie Flachdecken- Bereiche oder bei erforderlichen größeren Spannweite wie z. B. im Saal mittels Unterzügen in Richtung der Gebäudebreite, das Raumprogramm in den drei Geschossen aufgegliedert ist . Im mittleren davon befinden sich die eigentlichen großen Ausstellungsflächen mit der entsprechenden Tageslicht- Belichtung von oben . Die Bibliothek wird zur besseren Zonierung ihrer verschiedenen Bereiche und in besonderer Großzügigkeit als zweigeschossig vorgeschlagen . Die Haustechnik des Gebäudes und die Depotfläche (h= 2.5 m i.L.) befinden sich ebenfalls in einem niedrigeren Zwischengeschoß. Die beiden Zwischengeschosse können jeweils über die Podeste der Fluchttreppenhäuser angebunden werden . Erforderliche zusätzliche Fluchtwege sind im Puffer zwischen der Textilfassade und der konstruktiven Fassade an fast jedem Punkt denkbar.
Auch in der Materialität des Inneren folgt die Architektur diesem Ganzen mit der Reduktion auf ausgewählte wenige Baustoffe ( Sichtbeton, dunkle Holzfußböden, Gewebe- Spanndecken anstelle von Abhängungen ) und einfache klare Details. Glasflächen sowie die Tagesbelichtung (Fensteranordnungen + Ausbildungen in der „zweiten“ – von Außen nicht sichtbaren eigentlichen Gebäudehülle ) werden im wesentlichen nach den Erfordernissen des Innenraumes festgelegt und entworfen. Von dort ist der Ausblick über das Gelände und durch die Textilfassade hindurch uneingeschränkt!
Freiflächengestaltung
Das Bearbeitungsgelände ist eine alte Wunde im Zentrum der Stadt, die nicht heilen kann. Bisherige Schorfbildungen durch Vegetation und Erdschichten werden in Teilbereichen beseitigt, neu zu Tage tretende Relikte freigelegt, geschützt und erklärt. Alle Gestaltungsansätze leiten sich aus dieser Grundidee ab.
Das Gelände wird in zwei Hauptbereiche unterteilt : Ein Bereich als eingefriedetes Ausstellungsgelände, und ein zweiter als permanent zugängliche öffentliche Grünanlage. Das Ausstellungsgelände ist über vier Haupteingänge zugänglich. Der erste Zugang erfolgt wie bisher von der Niederkirchnerstrasse am Gropiusbau. Der zweite über das historische Tor auf der Rückseite des Gropiusbaus. Der dritte und vierte Zugang liegen an der Wilhelmstrasse.
Das Wegesystem ist in zwei Stufen gegliedert. Die Hauptzugangswege nehmen den Gestaltungsansatz des Neubaus mit nur minimalem konstruktiven Kontakt zum bestehenden Untergrund auf. Durch diese Ausführung in langen Rampen die zu den Eingängen den Neubaus führen, und im weiteren als Aussichtsplattform dienen, bewegt sich der Besucher immer in einem Respektsabstand zum geschichtsträchtigen Untergrund. Die zweite Stufe der Wegeführung ist für den detailinteressierten Besucher organisiert und als Rundweg konzipiert. Zudem kann über diese Wege die Andienung des Neubaus erfolgen. Es werden alle bestehenden Baurelikte wie auch der Ausstellungsgraben erschlossen. Der Ausstellungsgraben erhält eine neue transparente Überdachung ebenso wie alle anderen Baurelikte, die dies aufgrund ihrer Beschaffenheit erforderlich machen. Der historisch Gehweg entlang der Mauer wird weitest möglich wieder freigelegt und in das Wegesystem integriert. Der vorhandene Baumbestand soll, soweit sinnvoll, erhalten bleiben. Der weitere Rundweg wird direkt auf der Kontur der ehemaligen Gebäuderückseite entwickelt (Gebäudekonturenweg ). Der Besucher hat die Möglichkeit von den Aussichtsrampen aus sich einen Eindruck der ehemaligen Bebauung zu verschaffen oder diese durch Begehen zu erfahren. Hier besteht auch die Möglichkeit die Ausstellungsobjekte um weitere Elemente, die evtuell bei Wegebauarbeiten zu Tage kommen, zu erweitern.
Die Freiflächen zwischen den Wegen bleiben im Ausstellungsbereich weitestgehend baumfrei und erhalten eine ruderale Flächenbegrünung . Dieses Pflanzenbild unterstreicht den temporären Charakter der Vegetation, der es nicht gestattet wird die Geschichte zu überwachsten und damit das Vergessen zu fördern. Ein kleiner Nebeneffekt ist der extrem geringe Pflegeaufwand.
Der Rundweg führt durch die schlichte Einfriedung des Ausstellungsgeländes in das bestehende Robinienwäldchen. Dieser Bereich wird als öffentliche Grünfläche, mit minimalen Eingriffen in den Baumbestand, und einer neuen Wegeführung gestaltet . Hier wird die Geschichte, z.B. durch das Baurelikt Prinz- Albrecht- Palais, mit dem täglichen Leben im Park in Verbindung gebracht. So erhält dieses Stadtquartier zum einen neues öffentliches Grün, und damit vor allem ein wichtiges Element gegen das Vergessen der Geschichte des Ortes.